AFGHAN TRAVELLERS

Und es geschehen doch Wunder

Bisher noch unveröffentlichte Werke von 2017

BARBARA GERASCH

ERÖFFNUNG

Mittwoch, 17. November 2021, 19 Uhr

Evangelische Kirchengemeinde

Berlin-Hellersdorf

Glauchauer Str. 7, 12627 Berlin

Weihnachten 2017. Der afghanische Asylbewerber Elham B. ist seit fast zwei Jahren aus meiner Familie nicht mehr wegzudenken und feiert selbstverständlich mit uns.

Sein innigster Wunsch: Ein Wiedersehen mit seiner Familie in Afghanistan. Irgendwann.
„Nur ein einziges Mal, Barbara“, beschwört er mich immer wieder. Aber so sehr wir es wünschen, wir können ihm diesen Wunsch nicht erfüllen.

Ein paar Monate nach seinem Eintreffen in Deutschland 2015 hatte Elham vom Tod seines Vaters erfahren. In der Notunterkunft, von einem deutschen Sozialarbeiter. Tagelang zog er sich in sein Bett in der Turnhalle zurück und weinte. Später erfuhr er telefonisch von den näheren Umständen. Der bereits kranke Vater hatte nach einem nächtlichen „Besuch“ der Taliban im Haus seiner Familie einen weiteren Schlaganfall erlitten und war gestorben.

Im September 2017 stirbt Elhams älteste Schwester an einem schweren Nierenleiden. Monatelang hatten wir von hieraus versucht, Geld und Hilfe für eine Nierentransplantation der 37jährigen geschiedenen und nahezu mittellosen Mutter zu bekommen. Leider vergebens. Zurück blieb der damals zweijährigen Baset, um den sich nun die Großmutter kümmern muss.

Neun Kinder hatte Elhams Mutter geboren. Ihre älteste Tochter und ihren Ehemann begraben. Drei Söhne waren geflüchtet und lebten seit Jahren in Europa.

Elham bemüht sich nach Kräften, sich in Deutschland zu integrieren, hat viele neue Freunde und absolviert einen Bundesfreiwilligendienst in einer Kita. Er macht seine Arbeit so gut, dass die Kita ihn gern übernommen hätte, aber er hat zu viele Schwierigkeiten mit dem Lernen und seine Gedanken sind immerzu in Afghanistan bei Familie und Freunden.

„Ich habe einfach immer Angst um meine Familie, ich kann mich nicht konzentrieren“, sagt er oft, wenn ich ihn zu einer Ausbildung motivieren will.

Elham vor einem Bild der Ausstellung THE NUK ROOM, Berlin 2016

August 2021. Die Taliban übernehmen auch die Stadt Kabul. Wieder flammt die Angst auf. Akut. Am 17. August, zwei Tage nach der Machtübernahme stehen sie bei Elhams Familie vor der Tür. Sie suchen die Söhne. Sie suchen Dokumente. Gott sei Dank finden sie nichts. Wir sind verzweifelt, denn wir sind sicher, dass sie wiederkommen werden. Elhams Bruder, eine ehemalige Ortskraft, kontaktiert sämtliche seiner früheren Arbeitgeber. Die Amerikaner, die Deutschen und die Ungarn.

Wir glauben alle nicht daran, dass er etwas bewirken wird. Zu groß ist der Ansturm, zu viele Ortskräfte und ihre Familien wollen raus aus Kabul. Um so überraschter sind wir, als am nächsten Tag der Anruf aus Kabul kommt: „Wir haben eine Bescheinigung und sind schon am Flughafen!“ Wir können es erst gar nicht glauben.

Aber ja, es geschehen doch Wunder…

2016 – 2017. Elhams Geschichte, unsere kulturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten bestimmen meine künstlerische Arbeit. Ich verarbeite seine Gefühlswelt in einer eigenen Werkreihe. Stelle eine Menge Fragen und bemühe mich um Antworten.

Noch nie wurden diese intimen und persönlichen Werke in der Öffentlichkeit gezeigt. Umso dankbarer sind wir, dass wir nun diesen wundervollen Rahmen dafür gefunden haben. Mit einem Teil des Erlöses aus dem Verkauf der Arbeiten möchten wir die Familie, bestehend aus mittlerweile 10 Kindern und 12 Erwachsenen, bei ihrem Neustart in Europa unterstützen.

Haris, Tobah, Elham und Baset im Oktober 2021 im Atelier der Künstlerin

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